Sowjetischer Entwurf eines
Friedensvertrages mit Deutschland vom 10. März 1952:
"Die Sowjetunion hält es für
notwendig, die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika darauf
aufmerksam zu machen, dass, obwohl seit Beendigung des Krieges in Europa
bereits etwa sieben Jahre vergangen sind, immer noch kein Friedensvertrag
mit Deutschland abgeschlossen wurde.
Um diesen unnormalen Zustand zu beseitigen,
wendet sich die Sowjetregierung, die das Schreiben der Regierung der
Deutschen Demokratischen Republik mit der an die vier Mächte gerichteten
Bitte um Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit
Deutschland unterstützt, ihrerseits an die Regierung der Vereinigten
Staaten und an die Regierungen Grossbritanniens und Frankreich mit dem
Vorschlag, unverzüglich die Frage eines Friedensvertrages mit Deutschland
zu erwägen, damit in nächster Zeit ein vereinbarter
Friedensvertragsentwurf vorbereitet und einer entsprechenden
internationalen Konferenz unter Beteiligung aller interessierten Staaten
zur Prüfung vorgelegt wird.
Es versteht sich, dass ein solcher
Friedensvertrag unter unmittelbarer Beteiligung Deutschlands, vertreten
durch eine gesamtdeutsche Regierung, ausgearbeitet werden muss. Hieraus
folgt, dass die UdSSR, die USA, Grossbritannien und Frankreich, die in
Deutschland Kontrollfunktionen ausüben, auch die Frage der Bedingungen
prüfen müssen, die die schleunigste Bildung einer gesamtdeutschen, den
Willen des deutschen Volkes ausdrückenden Regierung fördern.
Um die Vorbereitung des Entwurfs eines
Friedensvertrages zu erleichtern, legt die Sowjetunion ihrerseits den
Regierungen der USA, Grossbritanniens und Frankreichs den beigefügten
Entwurf für die Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland zur
Prüfung vor.
Die Sowjetunion schlägt vor, diesen Entwurf
zu erörtern, und erklärt sich gleichzeitig bereit, auch andere
eventuelle Vorschläge zu dieser Frage zu prüfen. Die Regierung der UdSSR
rechnet damit, in kürzester Frist eine Antwort der Regierung der USA auf
den oben erwähnten Vorschlag zu erhalten. Gleichlautende Noten hat die
Sowjetregierung auch an die Regierungen Grossbritanniens und Frankreichs
gerichtet.
Entwurf für einen Friedensvertrag mit
Deutschland
Seit Beendigung des Krieges mit Deutschland
sind fast sieben Jahre vergangen. Jedoch hat Deutschland immer noch keinen
Friedensvertrag. Es ist gespalten und befindet sich gegenüber anderen
Staaten in einer nicht gleichberechtigten Situation. ...
Ohne den schnellsten Abschluss eines
Friedensvertrages mit Deutschland kann eine gerechte Behandlung der
rechtmässigen nationalen Interessen des deutschen Volkes nicht
gewährleistet werden.
Der Abschluss eines Friedensvertrages mit
Deutschland ist von grosser Bedeutung für die Festigung des Friedens in
Europa. Ein Friedensvertrag mit Deutschland wird die endgültige Lösung
der Fragen ermöglichen, die infolge des zweiten Weltkrieges entstanden
sind. An einer Lösung dieser Fragen sind die europäischen Staaten, die
unter der Hitleraggression gelitten haben, besonders die Nachbarn
Deutschlands, zutiefst interessiert. Der Abschluss eines Friedensvertrages
mit Deutschland wird zu einer Besserung der internationalen Gesamtlage und
damit zur Herstellung eines dauerhaften Friedens beitragen.
Die Notwendigkeit, den Abschluss eines
Friedensvertrages mit Deutschland zu beschleunigen, wird dadurch diktiert,
dass die Gefahr einer Wiederherstellung des deutschen Militarismus, der
zwei Weltkriege entfesselt hat, nicht beseitigt ist, weil die
entsprechenden Beschlüsse der Potsdamer Konferenz immer noch nicht
durchgeführt sind. Ein Friedensvertrag mit Deutschland soll
gewährleisten, dass ein Wiederaufleben des deutschen Militarismus und
einer deutschen Aggression unmöglich wird.
Der Abschluss eines Friedensvertrages mit
Deutschland wird für das deutsche Volk die Bedingungen eines dauerhaften
Friedens herbeiführen, die Entwicklung Deutschlands als eines
einheitlichen, unabhängigen, demokratischen und friedliebenden Staates in
Übereinstimmung mit den Potsdamer Beschlüssen fördern und dem deutschen
Volk die Möglichkeit einer friedlichen Zusammenarbeit mit anderen
Völkern sichern. Davon ausgehend, haben die Regierungen der Sowjetunion,
der Vereinigten Staaten von Amerika, Grossbritanniens und Frankreichs
beschlossen, unverzüglich mit der Ausarbeitung eines Friedensvertrages
mit Deutschland zu beginnen.
Die Regierungen der UdSSR, der USA,
Grossbritanniens und Frankreichs sind der Meinung, dass die Vorbereitungen
eines Friedensvertrages unter Beteiligung Deutschlands, vertreten durch
eine gesamtdeutsche Regierung, erfolgen mu8, und dass der Friedensvertrag
mit Deutschland auf folgenden Grundlagen aufgebaut sein muss:
Grundlagen des Friedensvertrages mit
Deutschland
Die Teilnehmer
Grossbritannien, die Sowjetunion, die USA, Frankreich, Polen, die
Tschechoslowakei, Belgien, Holland und die anderen Staaten, die sich mit
ihren Streitkräften am Krieg gegen Deutschland beteiligt haben.
Politische Leitsätze
I. Deutschland wird als einheitlicher Staat wiederhergestellt. Damit wird
der Spaltung Deutschlands ein Ende gemacht, und das geeinte Deutschland
gewinnt die Möglichkeit, sich als unabhängiger, demokratischer,
friedliebender Staat zu entwickeln.
2. Sämtliche Streitkräfte der
Besatzungsmächte müssen spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des
Friedensvertrages aus Deutschland abgezogen werden. Gleichzeitig werden
sämtliche ausländischen Militärstützpunkte auf dem Territorium
Deutschlands liquidiert.
3. Dem deutschen Volke müssen die
demokratischen Rechte gewährleistet sein, damit alle unter deutscher
Rechtsprechung stehenden Personen ohne Unterschied der Rasse, des
Geschlechts, der Sprache oder der Religion die Menschenrechte und die
Grundfreiheiten geniessen, einschliesslich der Redefreiheit, der
Pressefreiheit, des Rechts der freien Religionsausübung, der Freiheit der
politischen Überzeugung und der Versammlungsfreiheit.
4. In Deutschland muss den demokratischen
Parteien und Organisationen freie Betätigung gewährleistet sein; sie
müssen das Recht haben, über ihre inneren Angelegenheiten frei zu
entscheiden, Tagungen und Versammlungen abzuhalten, Presse- und
Publikationsfreiheit zu geniessen.
5. Auf dem Territorium Deutschlands dürfen
Organisationen, die der Demokratie und der Sache der Erhaltung des
Friedens feindlich sind, nicht bestehen.
6. Allen ehemaligen Angehörigen der
deutschen Armee, einschliesslich der Offiziere und Generale, allen
ehemaligen Nazis, mit Ausnahme derer, die nach Gerichtsurteil eine Strafe
für von ihnen begangene Verbrechen verbüssen, müssen die gleichen
bürgerlichen und politischen Rechte wie alle anderen deutschen Bürger
gewährt werden zur Teilnahme am Aufbau eines friedliebenden,
demokratischen Deutschland.
7. Deutschland verpflichtet sich, keinerlei
Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen irgendeinen
Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland
teilgenommen hat.
Das Territorium
Das Territorium Deutschlands ist durch die Grenzen bestimmt, die durch die
Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der Grossmächte festgelegt wurden.
Wirtschaftliche Leitsätze
Deutschland werden für die Entwicklung seiner Friedenswirtschaft, die der
Hebung des Wohlstandes des deutschen Volkes dienen soll, keinerlei
Beschränkungen auferlegt.
Deutschland werden auch keinerlei
Beschränkungen in bezug auf den Handel mit anderen Ländern, die
Seeschiffahrt und den Zutritt zu den Weltmärkten auferlegt.
Militärische Leitsätze
1. Es wird Deutschland gestattet sein, eigene nationale Streitkräfte
(Land-, Luft- und Seestreitkräfte) zu besitzen, die für die Verteidigung
des Landes notwendig sind.
2. Deutschland wird die Erzeugung von
Kriegsmaterial und -ausrüstung gestattet werden, deren Menge oder Typen
nicht über die Grenzen dessen hinausgehen dürfen, was für die
Streitkräfte erforderlich ist, die für Deutschland durch den
Friedensvertrag festgesetzt sind.
Deutschland und die Organisation der
Vereinten Nationen
Die Staaten, die den Friedensvertrag mit Deutschland abgeschlossen haben,
werden das Ersuchen Deutschlands um die Aufnahme in die Organisation der
Vereinten Nationen unterstützen.
Aus: Spiegel Online, Geschichte der
Deutschen, Digital Publishing, München 1998, Stalin-Note vom März 1952
Note der Regierungen Frankreichs, des
Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten an die Regierung der
Sowjetunion vom 25. März 1952:
"(...)
1. Die Regierung der Vereinigten Staaten hat die Note der Sowjetregierung
vom 10. März, in der der Abschluss eines Friedensvertrages mit
Deutschland vorgeschlagen wurde, in Beratung mit den Regierungen
Grossbritanniens und Frankreichs auf das sorgfältigste erwogen. Die
Regierungen der Vereinigten Staaten, Grossbritanniens und Frankreichs
haben ferner die Regierung der Deutschen Bundesrepublik und Vertreter
Berlins zu Rate gezogen.
2. Der Abschluss eines gerechten und
dauerhaften Friedensvertrages, der die Teilung Deutschlands beendet, ist
stets ein wesentliches Ziel der amerikanischen Regierung gewesen und wird
es bleiben. Der Abschluss eines derartigen Friedensvertrages macht, wie
die Sowjetregierung selbst anerkennt, die Bildung einer gesamtdeutschen
Regierung erforderlich, die den Willen des deutschen Volkes zum Ausdruck
bringt. Eine derartige Regierung kann nur auf der Grundlage freier Wahlen
in der Bundesrepublik, der sowjetischen Besatzungszone und in Berlin
geschaffen werden. Derartige Wahlen können nur unter Verhältnissen
stattfinden, die die nationalen und individuellen Freiheiten des deutschen
Volkes gewährleisten. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat zur
Prüfung der Frage, ob diese erste wesentliche Voraussetzung gegeben ist,
eine Kommission ernannt, die eine gleichzeitige Untersuchung in der
Bundesrepublik, der Sowjetzone und in Berlin durchführen soll. Dieser
Untersuchungskommission ist in der Bundesrepublik und in West-Berlin die
erforderliche Unterstützung zugesichert worden. Die amerikanische
Regierung würde die Mitteilung zu schätzen wissen, dass eine derartige
Unterstützung auch in der Sowjetzone und in Ost-Berlin vorhanden sein
wird, damit die Kommission ihre Aufgabe durchzuführen vermag.
3. Die Vorschläge der sowjetischen Regierung
geben keinen Hinweis auf die internationale Stellung einer gesamtdeutschen
Regierung vor dem Abschluss eines Friedensvertrages. Die amerikanische
Regierung ist der Ansicht, dass es der gesamtdeutschen Regierung sowohl
vor wie nach Abschluss eines Friedensvertrages freistehen sollte,
Bündnisse einzugehen, die mit den Grundsätzen und Zielen der Vereinten
Nationen in Einklang stehen.
4. Mit der Unterbreitung ihrer Vorschläge
für einen deutschen Friedensvertrag verlieh die Sowjetregierung ihrer
Bereitschaft Ausdruck, auch weitere Vorschläge zu erörtern. Die
amerikanische Regierung hat von dieser Erklärung Kenntnis genommen. Nach
ihrer Ansicht wird es nicht möglich sein, sich auf ins einzelne gehende
Diskussionen über einen Friedensvertrag einzulassen, bis die
Voraussetzungen für freie Wahlen geschaffen sind und eine freie
gesamtdeutsche Regierung gebildet worden ist, die an derartigen
Erörterungen teilnehmen könnte. Es bestehen verschiedene grundsätzliche
Fragen, die gleichfalls gelöst werden müssten.
5. So stellt die amerikanische Regierung
fest, dass die sowjetische Regierung erklärt, das deutsche Hoheitsgebiet
werde durch die Grenzen bestimmt, die durch die Entscheidungen der
Potsdamer Konferenz festgelegt wurden. Die amerikanische Regierung möchte
daran erinnern, dass in Wirklichkeit keine endgültigen deutschen Grenzen
in den Potsdamer Entscheidungen festgelegt wurden, die eindeutig vorsehen,
dass die endgültige Entscheidung territorialer Fragen einer
Friedensregelung vorbehalten bleiben muss.
6. Die amerikanische Regierung stellt ferner
fest, dass die sowjetische Regierung gegenwärtig der Auffassung ist, der
Friedensvertrag solle die Aufstellung nationaler deutscher Land-, Luft-
und Seestreitkräfte vorsehen, während gleichzeitig die Freiheit
Deutschlands, Bündnisse mit anderen Ländern abzuschliessen,
eingeschränkt wird. Die amerikanische Regierung ist der Ansicht, dass
derartige Bestimmungen einen Schritt zurück bedeuten und den Anbruch
einer neuen Epoche in Europa gefährden könnten, in der sich
internationale Beziehungen auf Zusammenarbeit und nicht auf Rivalität und
Misstrauen aufbauen. Von der Notwendigkeit einer Politik der europäischen
Einheit überzeugt, gibt die amerikanische Regierung Plänen ihre volle
Unterstützung, die die Beteiligung Deutschlands an einer rein defensiven
europäischen Gemeinschaft sichern, die Freiheit wahren, eine Aggression
verhüten und das Wiederaufleben des Militarismus ausschliessen sollen.
Die amerikanische Regierung ist der Auffassung, dass der Vorschlag der
sowjetischen Regierung zur Aufstellung nationaler deutscher Streitkräfte
mit der Erreichung dieser Ziele nicht zu vereinbaren ist. Die
amerikanische Regierung ist weiterhin überzeugt, dass diese Politik der
europäischen Einheit die Interessen irgendeines anderen Landes nicht
bedrohen kann und den wahren Weg zum Frieden darstellt."
Aus: Spiegel Online, Geschichte der
Deutschen, Digital Publishing, München 1998, Stalin-Note - Antwortnote
des Westens