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Beginn
einer wirklichen Abrüstung
In seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 1992 erklärte US-Präsident George Bush den Ost-West-Gegensatz und damit den Kalten Krieg für beendet: "Dank der Gnade Gottes hat Amerika den Kalten Krieg gewonnen. Eine einstmals in zwei bewaffnete Lager geteilte Welt erkennt jetzt eine einzige und herausragende Macht an, die Vereinigten Staaten von Amerika. Und sie betrachtet dies ohne Schrecken, denn die Welt vertraut in unsere Macht."1 Um ein Signal für das Ende des Kalten Krieges zu geben, kündigte Bush einseitige Massnahmen zum Abbau von amerikanischen Raketen und Einsparungen im Verteidigungshaushalt an. Denn in Zukunft sollten andere Massstäbe als Rüstungspotentiale und Truppenstärke die Weltpolitik beeinflussen. Diese neue Einstellung setzte ein eindeutiges Zeichen: Bis anhin hatten Abrüstungsverhandlungen lediglich dazu gedient, die Aufrüstung zu beschränken und das gegenseitige Misstrauen zwischen West und Ost abzubauen. Von der Rüstungsbegrenzung zur tatsächlichen Abrüstung: In der Sowjetunion kam 1985 Michail Gorbatschow an die Macht. Gorbatschow vertrat die Ansicht, dass ein weiteres Wettrüsten die Sowjetunion wirtschaftlich zu Grunde richten würde, weshalb er bereit war, einseitig abzurüsten. Gleichzeitig sollten bei den Raketenverhandlungen trotz amerikanischer Pläne zur Rüstung im Weltraum Fortschritte erzielt werden. "Wer mehr Waffen hat, muss auch bereit sein, auf mehr Waffen zu verzichten."2 Gorbatschow gab damit bekannt, dass die Sowjetunion das "Streben nach militärischer Überlegenheit"3 aufgegeben hatte. Als Reagan und Gorbatschow 1985 in Genf zusammenkamen, erkannten sie: "Ein Atomkrieg darf nicht geführt und kann nicht gewonnen werden."4
Auf dieser Erkenntnis wurde im Dezember 1987 der "INF-Vertrag (Intermediate Range Nuclear Forces)"5 abgeschlossen, der die Beseitigung aller land- und seegestützten Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 km, inklusive deren Abschussvorrichtungen, vorsah.6 Erstmals in der Geschichte wurde tatsächlich Waffenpotential vermindert. Zugleich wurden die seit 1982 mit Unterbrüchen geführten Verhandlungen zum START-Vertrag wiederaufgenommen und schliesslich am 31. Juli 1991 in Moskau von Bush und Gorbatschow unterzeichnet.7 Der START-Vertrag sah eine Reduktion der see- und landgestützten Langstreckenwaffen mit einer Reichweite von mehr als 5500km um 50% vor.8 Da der Vertrag bereits vorhandene Nuklearbomben nicht betraf, waren beide Grossmächte trotz Einhaltung der START-Bestimmungen wieder im Besitz von etwa gleich vielen Trägerwaffen wie zu Beginn der Verhandlungen im Jahre 1982. Gorbatschows Abrüstungspolitik konzentrierte sich aber nicht nur auf die atomare Abrüstung zwischen den USA und der Sowjetunion, sondern auch auf die im Rahmen der KSZE geführten Verhandlungen über die konventionellen Streitkräfte Europas. Auf dem KSZE-Gipfel in Paris 1990 lag den Regierungschefs der "Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE-Vertrag)"9 vor, der ein militärisches Gleichgewicht zwischen West- und Osteuropa vorschrieb. Dies betraf vor allem den Abbau von Panzern und Streitkräften in den Warschauer-Pakt-Staaten. Fünf Monate nach der Unterzeichnung des START-Vertrages existierte die Sowjetunion nicht mehr; sieben Monate nach der Unterzeichnung des VKSE-Vertrages löste sich der Warschauer-Pakt auf. Trotzdem waren die Verträge von grosser historischer Bedeutung: Erstmalig wurde das bisher ständig wachsende Waffenpotential verringert. Was im Kalten Krieg noch unmöglich gewesen wäre, nämlich die freiwillige Abrüstung, wurde 1991 Tatsache. Sowohl Bush als auch Jelzin kündigten einseitige Massnahmen an. Im Frühjahr 1992 vereinbarten die beiden Abrüstungsschritte, die vor ein paar Jahren noch absolut undenkbar gewesen wären. Doch die beiden Staatspräsidenten standen seit dem Ende des Kalten Krieges unter wirtschaftlichem Druck, bei den Rüstung- und Verteidigungsausgaben zu sparen. Die USA und Russland beabsichtigten, sich zur einer "Sicherheitspartnerschaft"10 zusammenzuschliessen. Dies mit dem Ziel, die Kontrolle über die vorhandenen Atomwaffen zu behalten und deren Weiterverbreitung zu unterbinden, was sie hauptsächlich mit eigener Abrüstung und der Vernichtung ihrer Atomwaffen erreichen könnten.11
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