Die
Kubakrise von 1962
Nach der Niederlage in der Schweinebucht simulierte die US-Army in mehreren Manövern die Eroberung einer Karibikinsel wie Kuba. Auf diese Weise erkannte Chruschtschow, dass die Sowjetunion nicht in der Lage wäre, Kuba bei einem massiven Angriff beizustehen. Deshalb erarbeitete Moskau die "Operation Anadyr"1, welche die Stationierung von 24 SS-4- und 16 SS-5-Raketen vorsah, die mit ihrer Reichweite eine Bedrohung für die ganzen Vereinigten Staaten, Kalifornien und der Nordwesten ausgenommen, darstellten. Die ganze Operation sollte geheim gehalten werden, bis die Raketen einsatzbereit waren.2 Einerseits lag Chruschtschow viel daran, mit der Stationierung der Mittel- und Langstreckenraketen und 44'000 Mann der Roten Armee Kuba vor einem Angriff von aussen zu beschützen. Andererseits verschaffte er der Sowjetunion damit im Ost-West-Konflikt einen strategischen Vorteil gegenüber den USA.3
Am 28. September 1962 fotografierten amerikanische U2-Aufklärungsflugzeuge sowjetische Frachter, die mit grossen Kisten beladen waren. US-Experten identifizierten die Kisten als Düsenbomber vom Typ Iljuschin 28. Ausserdem vermutete die CIA, dass die Sowjetunion drauf und dran war, Raketen auf Kuba zu installieren. Um ihre Stärke zu demonstrieren, zündete die UdSSR am 19. Oktober 1962 eine Wasserstoffbombe, die der Sprengkraft von etwa 2500 Hiroshima-Atombomben entsprach. Am selben Tag wurden Kennedy Bilder gezeigt, auf denen Abschussrampen für Mittelstreckenraketen zu sehen waren. Diese Mittelstreckenraketen waren sicher nicht als Defensivmassnahme gedacht, da sie innerhalb weniger Minuten New York oder Washington erreichen konnten. Noch am 11. September 1962 hatten die Sowjets den Amerikanern versichert: "Die Waffen und die militärische Ausrüstung in Kuba sind ausschliesslich für Defensivaufgaben vorgesehen."4 Mit der Stationierung der Raketen unmittelbar vor der amerikanischen Küste waren die Sowjets in der Lage, den Schutz des amerikanischen Frühwarnsystems auszuschalten.
Am 18. Oktober 1962 erkannte die CIA, dass sich nebst Basen für Mittelstreckenraketen auch solche für Langstreckenraketen im Bau befanden. Die CIA vermutete weiter, dass die Sowjetunion auch Atomsprengköpfe auf Kuba stationiert hatte. Da die Zukunft seines Landes auf dem Spiel stand, entschloss sich John F. Kennedy zwei Tage später für eine Seeblockade, mit dem Zweck, alle sowjetischen Schiffe mit Waffen an Bord zur Umkehr zu zwingen. Eine Blockade darf laut der UNO nur gegen einen Friedensbrecher verhängt werden. "Um der Blockade einen legalen Anstrich zu geben, nennt Kennedy sie 'Quarantäne' - in Anlehnung an Präsident Roosevelts Idee, aggressive Staaten unter Quarantäne zu stellen."5 An diesem Tag setzte er alle US-Streitkräfte in Alarmbereitschaft. Am 22. Oktober wandte sich Kennedy in einer Fernsehansprache an die Öffentlichkeit.6 Nachdem er die Ereignisse auf Kuba geschildert hatte, sagte er: "Diese geheim und rasch erfolgte aussergewöhnliche Aufstellung kommunistischer Raketen in einem Gebiet, das für seine besonderen und historischen Verbindungen zu den Vereinigten Staaten bekannt ist [...] ist eine vorsätzliche, provokative und ungerechtfertigte Änderung des Status quo, den dieses Land nicht hinnehmen kann. [...] Daher muss es unser unerschütterliches Ziel sein, den Einsatz dieser Raketen gegen dieses oder jedes Land zu verhindern und sicherzustellen, dass sie aus der westlichen Hemisphäre zurückgenommen oder vernichtet werden."7 Zu diesem Zweck und zur Verhinderung der Lieferung weiterer militärischen Angriffswaffen hatte Kennedy die Seeblockade angeordnet. Kennedy warnte Chruschtschow davor, dass jede von Kuba aus abgeschossene Rakete auf ein in der westlichen Hemisphäre liegendes Land, als ein sowjetischer Angriff auf die Vereinigten Staaten angesehen werde, der eine Vergeltung an Russland erfordere. Kennedy sprach: "Ich fordere den Vorsitzenden Chruschtschow auf, dieser heimlichen, rücksichtslosen und herausfordernden Drohung ein Ende zu bereiten und sie zu beseitigen [...] und an der historischen Aufgabe mitzuarbeiten, das gefährliche Wettrüsten zu beenden und die Geschichte der Menschheit zu ändern."8 An die 100 amerikanische Kriegsschiffe bildeten eine Blockade um Kuba, als sich am 24. Oktober 1962, um 10 Uhr, sowjetische Schiffe der amerikanischen Sperrzone näherten. Bevor die sowjetischen Schiffe den Befehl aus Moskau zur Umkehrung hatten, stand die Welt am Rande eines 3. Weltkriegs, der wohl auch das Ende der Menschheit bedeutet hätte. Am 27. Oktober schlug die Sowjetunion den Tausch vor, dass die Amerikaner ihre Jupiterraketen aus der Türkei zurückziehen sollten und sie als Gegenleistung ihre aus Kuba. An diesem Tag wurde über Kuba ein amerikanisches U2-Aufklärungsflugzeug abgeschossen, was eine amerikanische Vergeltung zur Folge hätte haben können, doch Kennedy verzichtete darauf. Unter der Bedingung, dass die Amerikaner keinen Angriff auf Kuba unternehmen würden, erklärte sich Chruschtschow am 28. Oktober 1962 bereit, die Raketen auf Kuba abzuziehen. Damit war die Krise zu Ende.
In Chruschtschows Erinnerungen heisst es darüber: "Die beiden mächtigsten Nationen der Welt waren zum Kampf gegeneinander angetreten, jede mit dem Finger auf dem Knopf. Man hatte gedacht, dass ein Krieg unvermeidlich war. ... Doch die Episode endete mit einem Triumph des gesunden Menschenverstandes."9 Die beiden Grossmächte reagierten auf die Krise mit der Entwicklung eines effizienten Krisenmanagements, so richteten sie beispielsweise den "heissen Draht"10 zwischen Moskau und Washington ein. Zudem bedeutete dies den Beginn einer Verständigung auf dem Weg zur Rüstungskontrolle und einer weltweiten Entspannungspolitik.11
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