Gärung
in Ostmitteleuropa
Als Stalin 1953 starb, lockerten seine Nachfolger den politischen Druck auf die sowjetischen Satellitenstaaten. In einigen Ländern des Ostblocks führte diese Lockerung "zu Spaltungstendenzen innerhalb der kommunistischen Parteien und vor allem zu Demonstrationen, Streiks und Aufständen der Arbeiter und Intellektuellen."1 Die Menschen hatten lange genug unter dem Regime Moskaus gelitten, sie forderten Reformen und einen von der Sowjetunion losgelösten, nationalen Entwicklungsgang. Die Proteste der Arbeiter richteten sich vornehmlich gegen den Druck und die Unannehmlichkeiten, die von der Planwirtschaft ausgingen.2 Der Arbeiteraufstand in der DDR: Anfangs der 50er Jahre war die Wirtschaftspolitik der DDR-Führung hauptsächlich auf den Aufbau der Schwerindustrie ausgerichtet, was sich negativ auf die Konsumgüterindustrie und den allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung auswirkte. Zusätzlich baute die SED3 ihre beherrschende Stellung auf allen Ebenen aus. Wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung sowie steigende Flucht- und Abwanderungsbewegungen waren die Folgen.4 Die SED-Führung versuchte, diesen Entwicklungen mittels verschärften Repressalien gegenüber der Bevölkerung entgegenzuwirken. Dies führte im Mai 1953 zur Erhöhung der Arbeitsnormen um 10 Prozent, worauf die betroffenen Arbeiter mit Streiks und Unruhen antworteten.5 Erst auf Drängen Moskaus wich die SED-Führung an einigen Punkten von ihrer harten Linie ab, an der Erhöhung der Arbeitsnormen hielt sie hingegen fest.6 Aus Protest gegen die erhöhten Normen legten die Bauarbeiter in der Stalinallee in Ostberlin die Arbeit nieder. Die Demonstrationen weiteten sich in Kürze auf ganz Ostberlin aus. Nebst der Bekanntgabe ihrer politischen Ziele riefen sie für den folgenden Tag, den 17. Juni 1953, einen Generalstreik aus. Dieser erfasste mehr als 270 Orte in weiten Teilen der DDR. Die Forderungen der Aufständischen beinhalteten die Wiederherstellung der deutschen Einheit und freie Wahlen. Das SED-Regime war nicht imstande, die Situation alleine in den Griff zu bekommen. Der Aufstand konnte schliesslich durch den Einsatz von sowjetischen Panzern niedergeschlagen werden.7
Die polnischen Oktoberunruhen: In Polen versuchte die kommunistische Partei, die Liberalisierung vorwiegend auf die Wirtschaft zu beschränken, was jedoch misslang. Als Chruschtschow im Februar 1956 auf dem XX. Parteitag der KPdSU die Entstalinisierung einleitete, verstärkte sich die Kritik an den vorherrschenden Umständen. Infolge der Aussöhnung zwischen dem jugoslawischen Parteiführer Tito und der sowjetischen Parteispitze kam es zu neuen Unruhen in Polen. In einer gemeinsamen Erklärung, billigte die sowjetische wie auch die jugoslawische Regierung die Existenz "nationaler Wege zum Sozialismus."8 Daraufhin kam es in Polen am 22. Juni 1956 zu einem Generalstreik in der Stadt Posen; der Streik musste mit Hilfe der polnischen Armee niedergeschlagen werden. Spätestens nach diesem militärischen Eingreifen verbreitete sich der Ruf nach politischen Reformen. Das Politbüro versuchte Mitte Oktober, die Forderungen der Bevölkerung mit der Ernennung Gomulkas zum Generalsekretär und der gleichzeitigen Entmachtung des Verteidigungsministers Rokossowski zu erfüllen. Wladyslaw Gomulka hatte als ehemaliger Generalsekretär der Polnischen Arbeiterpartei einen nationalkommunistischen Kurs verfolgt und grössere Unabhängigkeit von der Sowjetunion angestrebt, woraufhin er 1951 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, inzwischen aber wieder auf freien Fuss gesetzt wurde. Die Ernennung eines Nationalkommunisten zum Generalsekretär sollte das angeschlagene Verhältnis zwischen der Partei und dem Volk wiederherstellen. Gomulka schaffte es, die Sowjetunion trotz der personellen Änderung in der Führungsspitze von der weiteren Bündnistreue Polens zu überzeugen und gestattete ihr auch in Zukunft die Stationierung sowjetischer Truppen. Im Gegenzug erhielt Polen das Recht auf einen "eigenen Weg zum Sozialismus."9 Auch wenn mit diesem Kompromiss die weitere Herrschaft der kommunistischen Partei in Polen gesichert wurde, vermochte Gomulka, die Abhängigkeit seines Landes von Moskau zu lockern. Obschon es in den folgenden Tagen unter der polnischen Bevölkerung zu antisowjetischen Demonstrationen und Sympathiekundgebungen für die Entwicklungen in Ungarn kam, war Gomulka in der Lage, eine militärische Intervention seitens der Sowjetunion zu verhindern.10
|